Als es hell wurde, regnete es immer noch. Ich hatte Angst, dass ich mit dem Wohnmobil nicht aus der Wiese fahren könnte. Noch im Schlafanzug setzte ich mich hinter das Steuer und drehte den Zündschlüssel herum. Als ich den ersten Gang einlegen wollte, passierte nix. Die Gangschaltung war völlig steif! Das auch noch! Ich machte den Motor wieder aus und legte dann den ersten Gang ein. Mit dem Umdrehen des Zündschlüssels hüpfte das Wohnmobil nach vorne, der Gang war drin. Ich ließ ganz vorsichtig die Kupplung kommen, damit sich die Räder nur sanft drehten, und siehe da, ich konnte wegfahren! Mir fiel ein Stein vom Herzen. Nur erst einmal von der nassen Wiese weg!
Zwischen den Obstplantagen fand ich dann einen festen Schotterweg, auf den ich mich stellte. So langsam riss der Himmel auf. Ich kochte mir Kaffee und ging mit Santos eine Runde. Ich überlegte, ob ich nochmal auf das Mittelalterfest gehen sollte. Aber ich hatte genug. Ich schrieb den Freunden von der Grenzwacht eine SMS und machte mich dann langsam Richtung Reschenpass auf die Fahrt.
Reschenpass in Südtirol |
Viele Motorradfahrer kamen mir entgegen und überholten mich. In einer der vielen Kurven öffnete sich die Klappe der Küchenzeile, die Besteckschublade rutschte aus den Schienen und knallte mit scheppernder Lautstärke in den Gang. Das auch noch! Ich fuhr in Ruhe weiter, bis ich auf einen grösseren Parkplatz kam, der überfüllt war, als gäbe es dort etwas Besonderes. Zufällig fand ich eine bequeme Lücke neben einem Vitrinenhäuschen, vor dem Menschen ihre Nase platt drückten. Und dann sah ich, wo ich war!
Reschensee - hier wurden 1950 mehrere Dörfer geflutet |
Obwohl so viele Menschen da waren, lag eine ungewöhnliche Stille in der Luft. Es war bedrückend. In einer grossen Glasvitrine waren Modelle zu sehen, wie die Gegend vor der Zwangsenteignung und Flutung aussah. In vier verschiedenen Sprachen lag dort eine Tafel aus, die von der Tragödie vom Reschensee erzählt.
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Fast mit Tränen in den Augen bei der nachträglichen Vorstellung, dass die Menschen damals enteignet wurden, das Vieh hinausgetrieben und geschlachtet werden musste, stieg ich wieder in mein Wohnmobil und räumte die heruntergefallene Besteckschublade ein. Dann zog ich die Flügelschraube an, die wie ein Riegel die Schrankklappen verschliesst und fuhr weiter.
Ich hatte seit gestern Appetit auf eine Hühnersuppe. Drei Tage im Mittelalter, Rebsaft, Met, Gerstsaft; ein Himmelreich für eine salzige Hühnersuppe! Ich hatte den Kühlschrank voll mit Leckereien. Aber ich wollte eine ganz normale Hühnersuppe. Erst nach dem Grenzübergang Kiefersfelden fand ich eine Autobahnraststätte, die am Selbstbedienungsbuffet einen grossen Topf frischer Hühnersuppe mit Nudeln und Eierstich anbot. Ich holte mein Suppenschälchen aus dem Schrank, füllte es mit Suppe und aß in Ruhe im Wohnmobil die köstlichste aller Hühnersuppen bis zur letzten Nudel auf.
Um wieder aus meiner Parklücke zu fahren, schlug ich das Lenkrad ganz ein, damit ich genügend Abstand zur den parkenden Autos hinter mir hielt. Plötzlich hörte ich ein krachendes Geräusch. Ich war irgendwo hängen geblieben. Ich fuhr wieder vor und stieg aus, um zu sehen, was ich übersehen hatte.
Mit der Stoßstange an Betonpellone hängen geblieben |
Das auch noch! Die Ecke hing wie ein loser Zahn an dem langen Vorderteil der Stoßstange. Ich holte ein Spezialklebeband aus dem Schrank und fixierte das lockere Teil mit der Karosse, damit es die Heimfahrt übersteht.
So langsam klappte ich zusammen wie ein Taschenmesser. Ich war hundemüde. Auf der Autobahn München-Salzburg fuhr ich in Frasdorf am Chiemsee ab. Mein Sekundenschlaf ließ mich immer der Leitplanke näher kommen. Es waren zwar nur noch ca. 60 km bis zur Ausfahrt Piding-Reichenhall-Berchtesgaden, aber ich konnte nicht mehr.
Auf einem schönen, ruhigen Schotterplatz neben der Landstraße in Richtung Riedering stellte ich mein Wohnmobil ab. Ich fuhr nochmal vor und zurück, bis ich in der Waage stand. Sonst geht nämlich im Wohnmobil der Absorber-Kühlschrank aus, wenn er schief steht.
Ich stellte den Sendersuchlauf für meinen Sonntagabendkrimi ein und ging derweil eine Runde mit meinem Santos, dem ich an dem Abend kein Futter reichte, damit sich sein Darm erholen konnte. Um kurz vor Mitternacht machte ich das Licht aus und kuschelte mich in meine Kissen.
Was ich dann aber für eine Horrornacht erlebte, das erzählte ich ja schon in meiner Geschichte, die ich aus Aktualität meinem eigentlichen Reisebericht vorzog:
Schlaflose Nacht am Zeltlager Kohlstatt (klick)
In meiner nächsten Geschichte erzähle ich vom Mittelalterfest im oberösterreichischen Waxenberg (klick). Das liegt in einer Hügelmulde zwischen Linz und der tschechischen Grenze.
Meine Güte, wie abenteuerlich. Hört sich gar nicht entspannend an. Hoffe Santos geht es wieder besser!
AntwortenLöschenLG Donna G.
Ja, Santos ist wieder ok. ;-)
LöschenLG Gisela