Freitag, 23. November 2012

Die Tiroler Riesin aus dem Ridnauntal

Vor dem Bergwerksmuseum im Ridnauntal stand also diese große Holzfigur einer Frau, die im 19. Jahrhundert dort gelebt hatte.
Die Riesenmoidl mit ihren Eltern - Ridnauntal/Tirol

Ich ging daran vorbei und an die Kasse, um eine Eintrittskarte zu lösen. Die Frau fragte mich, ob ich auch ein Programm für das Bergwerksmuseum haben wollte. Nein, antwortete ich, aber mich interessiert diese Holzstatue vor dem Eingang.Was war das für eine Frau?
Aus einem Karton in der Ecke kramte die Frau an der Kasse ein altes Heft im schwarz/weiss-Druck. Auf dem Cover ein Foto von zwei Frauen, die eine 2,20 m und die Kleine ca. 1,60 m groß. Maria und ihre Schwester Rosa. Ganz schlicht stand darauf

Die Tiroler Riesin
Maria Faßnauer aus Ridnaun
1879 - 1917

Verlag Freizeitring Ridnauntal
1989

So ging ich also zuerst durch die Räume, die auf die Vergangenheit und die harte Arbeit der damaligen Bergleute hinwies. Arbeitsgeräte, Schubkarren, Fotos von Kindern, die von der Arbeit schon Hände wie Alte hatten. Sich das einmal anzusehen, ist wirklich eine Reise ins Ridnauntal/Tirol wert.

Ein Raum war der Riesin von Tirol gewidmet. Da war ihr Fingerring, in dem ein Zweimarkstück lag, um die Grösse zu demonstrieren, das Foto eines Bettes, das damalige Sommerfrischler für sie machen ließen, Kleidungsstücke und vieles andere.

Mithilfe des Heftchens will ich Euch aber nun von Maria Faßnauer erzählen, die auch liebevoll Marile oder Maridle oder Moidl genannt wurde. Der ehemalige Pfarrer des Ortes hatte 1937 einen biographischen Artikel über die zu der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit geratene Persönlichkeit verfasst.

Maria Faßnauer wurde am letzten Februartag des Jahres 1879 auf dem Staudenhof geboren. Der steht an der Schattenseite zuhinterst im Ridnauntal auf einer Höhe von 1566 m. 
"Bis zu ihrem dritten Lebensjahre war sie ein kleines Kind wie alle anderen, dann wuchs sie mit einem Schlage über die Umgebung hinaus..., überflügelte Vater und Mutter und wuchs und wuchs, dass sich die Leute bekreuzigten, wenn sie sie sahen". 
So zu lesen in einem Bericht der "Bozner Zeitung" vom 29. November 1906.
Als Maridl  das erste Jahr die "Hoch"-Schule von Ridnaun besuchte (1350 m hoch), war sie schon so großgewachsen wie andere Kinder beim Ausschulen. Es wurde für sie eine eigene Bank in der Schulklasse aufgestellt. Aus ihrer Schulklasse ist auch eine Anekdote bekannt. Als sie mit anderen Schulkindern auf dem Heimweg war, sagten Fremde einmal zu ihr:
"Mutterl, geht's mit den Kindern heim?",
worauf sie mit ihrer rauhen Stimme antwortete: "Ich bin ja selber no a Schülerin!".

In den Jahren ihres ungestümen Wachstums hatte sie natürlich stets einen gewaltigen Hunger. Nicht teller-, sondern schüsselweise konnte sie Plenten (Buchweizen) oder Mus verzehren. Appetitanregend wirkte allein schon der weite Schulweg, denn der Staudenhof liegt eine Gehstunde vom Dorf entfernt auf steiler Anhöhe.
Zu Hause musste sie natürlich kräftig bei der Arbeit mithelfen. Sie verfügte über eine enorme Muskelkraft. Maridle war die Älteste von sechs Kindern.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wuchs in der Region der Fremdenverkehr. Und die Kunde von diesem Riesenmädchen gelangte über die zahlreichen Feriengäste in die entfernten Großstädte, wo Unternehmer des Schaustellgewerbes nach immer neuen Attraktionen Ausschau hielten.  
So trat man schon früh an die Eltern der Moidl mit gewinnträchtigen Angeboten heran; sie sollten ihre Tochter zu Schaustellungen in die Welt herumreisen lassen. Sie maß mit 11 Jahren nahezu 2 Meter und war die größte Frauensperson des Bezirks.
So das Tiroler Volksblatt am 21. Mai 1890.

Es fällt mir schwer, hier die Berichte für meinen Blog zu kürzen. Die Überlegungen dazu brauchen mehr Zeit als das schnelle Abtippen der Zeilen aus dem Heftchen. Also tippe ich ab. Wem es zu langweilig ist, der möge es überfliegen.
 
"Unlängst war ein Schaubudenbesitzer aus Wien eigens gekommen, um dies Riesenmädchen für seine Bude zu erlangen. Er bot den Eltern jährlich 600 Gulden an und die vollständige Verpflegung des Kindes sowie eine Begleiterin. Doch die Eltern, obwohl arm, ließen sich vom Gelde nicht verlocken, ihr Kind in die weite Welt zu schicken."

Weiters, gekürzt:
"...und trotzdem ihre Eltern blutarm sind, haben sie doch das glänzende Anerbieten eines Impresario ( heute Managers) abgelehnt; die Touristen aber haben gesammelt und der Moidel eine Bettstatt machen lassen, in der sie sich ausstrecken kann, was ihr bisher nicht möglich war, so daß sie schon ganz gekrümmt daher marschierte."

Foto aus meiner Broschüre. Die große Moidel mit Einheimischen u. Touristen
Ich muß jetzt kürzen, damit ich Euch nicht langweile.
1904 war die Moidel  25 und zog in die Fremde, um Geld zu verdienen. Erst sollte sie in eine vornehme Familie nach Berlin. Daraus wurde nichts. 1906 kam sie in ein "Panoptikum" nach Berlin. Dort war sie neben Zwergen, Liliputanern und anderen außergewöhnlichen Menschen einige Monate zu sehen. Ihre Schwester Anna war mitgekommen. Der gefiel das Leben aber dort nicht. Sie ging zurück ins Elternhaus. An ihrer Stelle kam Schwester Rosa mit auf die Reise.
Es folgten Zurschaustellungen in verschiedenen Großstädten. 
In Wien trat die Riesenmoidl im Stadtpanoptikum auf. Von morgens 10 Uhr bis abends 9 Uhr zeigte sie sich in einem düsteren Kellerlokal jede halbe Stunde der schaulustigen Menge. 

Plakate für damalige Schaustellerei
Nun schreibe ich weiter aus dem Kopf. Das Abschreiben würde zu lang werden. 
Marile hatte immer Heimweh. Sie hatte sich vertraglich ausbedungen, daß sie dreimal die Woche in die Kirche gehen darf. Weil sie mit der Zeit dicke Beine bekam, die bluteten, fragte sie ihren Impresario einmal, ob sie nicht bei der Ausstellung auf der Bühne sitzen dürfe. Nein, meinte er, sie solle ja ausgestellt werden und dabei nicht aussitzen.

Als der erste Weltkrieg begann, wurden diese Kirmesausstellungen eingestellt. Marile ging wieder in ihr Elternhaus nach Ridnaun. Mit den Jahren hatte sie die Schulden der Eltern bezahlt und eine schöne Summe angespart. Überhaupt hatte sie diese "Verdienstreisen" nur den Eltern zuliebe gemacht. Sie liebte besonders ihre Mutter, die oft krank war. Das kleine Mütterchen wirkte neben der Moidl wie ein Kind.   

Die Riesenmoidel mit ihrer Mutter u. Schwester Anna
Aus gesundheitlichen Gründen war sie dann gezwungen, mit dem Herumreisen Schluß zu machen. Schon im Jahre 1910 hatte sich bei ihr ein Fußleiden bemerkbar gemacht, wie einer Information der "Bozner Zeitung" vom 21. Oktober des genannten Jahres zu entnehmen ist. Nicht nur die offenen Füße machten ihr zusehends zu schaffen, sie litt auch an Wassersucht, an der sie schließlich, erst 38jährig, am 4. Dezember des Kriegsjahres 1917 starb.

Ich finde jetzt nicht die Stelle, die ich noch erwähnen möchte, habe sie aber noch im Kopf.
Als die Moidl im Sterben lag, war immer ihre Mutter bei ihr. Sie wünschte sich nur eins, daß sie ihre geliebte Mutter bald wieder bei sich habe, wenn sie gestorben sei.
Drei Wochen, nachdem Maria Faßnauer gestorben war, starb auch ihre Mutter an einer Lungenentzündung.  

3 Kommentare:

  1. Tolle Geschichte, vielen Dank fürs aufschreiben. Ich fasziniere mich nur zu gern für die Lebensgeschichten der Vorgenerationen, besonders Jene um die Weltkriege herum. LG Cosi

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  2. Eigentlich eine traurige Geschichte.
    Aber schon interessant.
    LG Donna G.

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  3. Hallo! Danke für den Besuch auf meinen Blog. So bin ich auch auf Deinen gestossen. Das ist tatsächlich eine interessante und tragische Geschichte zugleich. Damals wusste man ja noch weniger davon, dass hinter dieser Großwüchsigkeit vermutlich eine Erkankung stand. Die "Moidel" hatte sicher kein einfaches Leben und versuchte doch das Beste draus zu machen (zumindest finanziell für ihre Familie). Lg Bine

    P.S.: Was die Weihnachtsdeko betrifft stimme ich Dir zu! Es gibt so viele schöne Ideen man muss sich einfach nur mal umsetzen :-)

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